Engel

Der Engel an der Brücke

Ich traf auf meinem Weg einen jungen Mann, der ging auf und ab. Ich fragte, was er denn mache und er schaute mich an. Seine Augen waren voll Trauer und auch voll Wut. Sein Körper war geschwächt und doch konnte er nicht ruhen. Auf seinen Schultern lastete ein großes Paket – hier und da waren ein paar Löcher, wo wohl ein Stück des Inhalts fehlte; dennoch schien es dadurch nicht minder schwer.

Ich fragte, warum er denn nur ständig auf und ab gehe? Er sagte, dass er gerne über diese Brücke gehen wolle, um auf die wunderschöne Insel gegenüber der Schlucht zu gelangen, doch er wage es nicht, denn seine Last sei so schwer und die Brücke, die er passieren müsse, mache keinen stabilen Eindruck.

Ich fragte ihn, warum er denn die Last nicht ablegen würde, dann könnte er doch ohne weiteres die Brücke passieren. Er schaute mich entgeistert an – ohne sein Gepäck??? Nein, das ginge nicht!

Ich fragte ihn, was denn so Wichtiges in diesem Paket wäre, dass er es denn nicht hier lassen könne? Er lächelte und sagte stolz: „Es ist meine Vergangenheit.“

Er ging auf und ab. Sehnsüchtige Blicke folgten dem Weg auf diese wunderschöne Insel mit Blumen und Früchten und frischem Wasser. Er war wirklich geschwächt, so bot ich ihm Wasser an – dankend trank er.

Ich fragte, ob er seine Last absetzen möge und auf die Insel gehen wolle? Vehement verneinte er: auf keinen Fall würde er seine so kostbare Vergangenheit absetzen, nur, um auf die Insel zu gelangen! Es müsse doch schließlich auch einen anderen Weg geben!

Wir schwiegen.

Ich meinte, wenn seine Vergangenheit leichter wäre, so könne er sie vermutlich mit auf die Insel nehmen. Doch wäre sie leichter, so wäre sein Eigengewicht weitaus mehr und so könnte er sowohl mit, als auch ohne Vergangenheit diese Brücke nicht passieren. Dadurch jedoch, dass er nun so lange gegangen sei, mit dieser Last, sei er selber davon so leicht geworden, dass er die Brücke passieren könne, würde er seine Last absetzen.

Er schaute mich erstaunt an – „Es ist also die einzige Möglichkeit diese Brücke zu überqueren?“ fragte er.

Ich schwieg. Er dachte nach.

Dann fragte er mich, ob ich denn kurz für ihn seine Vergangenheit tragen könnte, da er das Paket ungern in den Staub stellen wolle? Er würde gern einmal auf die Insel gehen, um zu schauen, ob sich denn der Tausch auch lohnen würde.

Ich sagte, dass er gern auf die Insel gehen könne, doch ich würde ihm seine Last nicht abnehmen. Ich zeigte auf den Haufen neben der Brücke und sagte: „All das ist Vergangenheit von vielen anderen, die auch zuvor wie du unentschlossen waren. Es ist deine Entscheidung, wohin es dich trägt.“

Und seit er über die Brücke lief, ruht neben seiner Vergangenheit die Vergangenheit vieler anderer glücklicher, freier Menschen!

Paula Meux

 

Zwei Engel auf Reisen

Zwei Engel auf der Reise machten Halt, um die Nacht im Hause einer wohlhabenden Familie zu verbringen.

Die Familie war unhöflich und verweigerte den Engeln, sich im Gästezimmer des Haupthauses auszuruhen. Anstelle dessen bekamen sie einen kleinen Platz im kalten Keller. Als sie sich auf dem harten Boden ausstreckten, sah der ältere Engel ein Loch in der Wand und reparierte es.

Als der jüngere Engel fragte, warum, antwortete der ältere Engel: “Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.”

In der nächsten Nacht rasteten die beiden im Haus eines sehr armen, aber gastfreundlichen Bauern und seiner Frau. Nachdem sie das wenige Essen, das sie hatten, mit ihnen geteilt hatten, ließen sie die Engel in ihrem Bett schlafen, wo sie gut schliefen. Als die Sonne am nächsten Tag den Himmel erklomm, fanden die Engel den Bauern und seine Frau in Tränen. Ihre einzige Kuh, deren Milch ihr alleiniges Einkommen gewesen war, lag tot auf dem Feld.

Der jüngere Engel wurde wütend und fragte den älteren Engel, wie er das habe geschehen lassen können? “Der erste Mann hatte alles, trotzdem halfst du ihm”, meinte er anklagend. “Die zweite Familie hatte wenig, und du ließest die Kuh sterben.” “Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen”, sagte der ältere Engel.

“Als wir im kalten Keller des Haupthauses ruhten, bemerkte ich, dass Gold in diesem Loch in der Wand steckte. Weil der Eigentümer so von Gier besessen war und sein glückliches Schicksal nicht teilen wollte, versiegelte ich die Wand, sodass er es nicht finden konnte. Als wir dann in der letzten Nacht im Bett des Bauern schliefen, kam der Engel des Todes, um seine Frau zu holen. Ich gab ihm die Kuh stattdessen.

„Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.” Manchmal passiert genau das, wenn die Dinge sich nicht als das entpuppen, was sie sollten.

Wenn du Vertrauen hast, musst du dich bloß darauf verlassen, dass jedes Ergebnis zu deinem Vorteil ist.

Du magst es nicht bemerken, bevor ein bisschen Zeit vergangen ist. Manche Leute kommen in unsere Leben und gehen schnell. Manche Leute werden Freunde und bleiben ein bisschen, wunderschöne Fußabdrücke auf unseren Herzen hinterlassend und wir sind ziemlich ähnlich, weil wir eine Freundschaft geschlossen haben!

Gestern ist Geschichte. Das Morgen ein Mysterium. Das Heute ist ein Geschenk. Darum heißt es auch: Präsent. Ich denke, das ist etwas Besonderes. Lebe und genieße jeden Moment!

(Verfasser*in unbekannt)