Meike

Das Festhalten am Status quo, sei er auch noch so problematisch, basiert aber nicht auf Tierliebe, sondern ist einfach Ausdruck menschlicher Schwäche. Lieber das ungute Gefühl weiter ertragen, als sich selbst einen Fehler einzugestehen.
(aus: Ein Hund aus zweiter Hand von A.-S. Griebel und P. Krivy)


Meikes Geschichte ist mitunter die abenteuerlichste und zugleich tragischte, in die ich in den vergangenen 20 Jahren hinein geriet.

Meike, optisch ein Paradebeispiel eines Straßenhundes, lief einer Freundin (nennen wir sie Carla) zu: ungepflegt, abgemagert, dennoch freundlich, verhaltensunauffällig.

Wie es sich „gehört“, setzte sich Carla mit dem zuständigen „Tierschutzverein“ in Verbindung. Dieser „Tierschutzverein“ hatte vielleicht 300 Mitglieder, kein explizites Tierasyl und ein hiesiger Tierarzt fungierte als Vorstand. Wohl nicht ganz unbegründet wurde schon immer gemunkelt, die kommunal subventionierte „Tierschutzfunktion“ half dem Vet beim eigenen Hausbau…

Knapp eine Woche später stand Meike erneut bei meiner Freundin vor dem Laden. Wie sich herausstellte, bestanden die Schutzräumlichkeiten dieses „Tierschutzvereins“ nicht nur aus einem Hinterzimmer besagter Tierarztpraxis, bis Meike von ihrem Besitzer abgeholt wurde, vergingen fast drei Tage!. Sie muss also die erstbeste Möglichkeit zur Flucht wieder genutzt und Carla sozusagen abgespeichert haben.

Ich erfuhr hiervon etwa vier Wochen später, nachdem Carla Meike „konfisziert“ hatte und ein neues, nicht nur zuverlässiges, sondern auch verschwiegenes Zuhause für sie suchte. All unsere Bekannten, die einen Hund wollten, waren bereits bedient, sodass es wirklich schwierig wurde, Meike gut, sicher und kompetent unterzubringen. Bei gemeinsamen, von Carla und ihrer Schwester regelmäßig organisierten Hundewanderungen, konnte man schnell feststellen, dass Meike ein wahres Herz auf vier Pfoten war: folgsam, aufmerksam, verträglich, zugänglich … doch leider auch verfressen.

Desweiteren stellte sich durch einen Kontakt bei der Polizeihundestaffel heraus, dass Meike zurecht aus ihrem bisherigen Leben geflüchtet war: der Besitzer war Alkoholiker, arbeitslos und wenn er auf Tour ging, überließ er Meike oft tagelang, in der Wohnung zurückgelassen, ihrem Schicksal.

Schließlich ergab sich eine Möglichkeit, Meike bei direkten Nachbarn von mir (vis à vis) unterzubringen. – Von Traumhund…, auf Lebenszeit…, gesicherte Finanzen…, sich der Verantwortung bewusst sein… war die Rede. … Leider stellte sich all das als von A – Z gelogen heraus. Zur ganzen Geschichte, bis dorthin, geht’s Hier lang.

Nachdem wir Meike, nach nervenaufreibenden sowie -raubenden Bemühungen schließlich aus dem Haushalt rausholen und zur Pflege bei einer älteren Dame mit weiteren Hunden unterbringen konnten, fing das Glück an, uns bzw. mich zu verlassen. All die Veränderung der letzten Monate hinterließen bei Meike leider seelische Spuren: sie fing an, die anderen Hunde zu terrorisieren, wodurch die hilfsbereite Dame heillos überfordert war.  – Zwischenzeitlich stand ich zudem alleine auf weiter Flur: Carla hatte sich Stück für Stück zurückgezogen und ehe ich mich versah, lastete alle Verantwortung, Meike ein gutes Leben zu ermöglich auf mir!

Mit Hilfe anderer Tierschutz-Freunde lief die Suche nach einem neuen, hoffentlich endgültigen Platz, mit sehr viel Sachverstand auf Hochtouren. – Ein Einhorn im Wald zu finden, war einfacher…

Eine junge Frau, zweifache Mutter (nennen wir sie Tonja), in Tierkreisen bis dato als zuverlässig, engagiert und souverän bekannt, bot sich an, Meike wieder in die Spur zu helfen. Ich hatte mittlerweile so oder so kein gutes Bauchgefühl mehr, doch leider hatte ich zu dieser Zeit auch zwei Hunde, war alleinstehend, alleinverdienend .. Ich konnte sie einfach leider nicht auch noch zu mir nehmen.

In den ersten drei Monaten lief alles sehr gut. Tonja hatte es tatsächlich drauf, ihre Kinder, die bereits vorhandenen Tiere sowie Meike unter einen Hut zu bringen. Anfangs trafen wir uns regelmäßig zum Laufen und damit ich ein Auge auf Meike haben konnte; doch irgendwann schlief der Kontakt ein – es war nicht gerade der nächste Weg, es schien alles top zu werden und irgendwie war ich natürlich auch sowas wie müde geworden.

Was letztendlich (wieder) schief gelaufen war, wurde mir nicht erzählt. Fakt ist, eines Tages bekam ich einen Notruf von Tonja, Meike habe angefangen sie, ihre Kinder sowie Fremde zu beißen!

Ich selbst wusste mir nun auch nicht mehr zu helfen und wandte mich an meinen Tierarzt, der mir mit Tonja und Meike ein Beratungsgespräch einräumte.

Was vielen eventuell fremd sein dürfte und wofür ich womöglich einen Shitstorm gegen mich auslöse (Mir egal!): mit derart extrem verhaltensauffälligen Hunden ist nicht mehr zu spaßen! Sicher gibt es auch hierfür Hundetrainer bzw. Hundeverhaltenstherapeuten, doch irgendwann muss man auch mal wissen, dass und wo das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Wir saßen etwa eine Stunde mit dem Tierarzt zusammen. In Fällen wie diesen sind Tierärzt*innen sogar dazu verpflichtet, das Thema Euthanasie zur Sprache zu bringen: sehen sie die Gefahr der totalen Eskalation und machen den Besitzer nicht darauf aufmerksam, können sie unter Umständen mit in Regress genommen werden, sollte der Hund zu einem späteren Zeitpunkt Menschen und / oder Tiere angreifen, schwer verletzen oder gar töten.

Für Tonja war das alles „zuviel“. Während sie raus ging, eine rauchen, war ich es (wieder), die Meike bei ihrer letzten Reise zur Seite stand.

Diese Erfahrung war der Anfang vom Ende, mich von privaten „Rettungsaktionen“, die nicht auf „meinem Mist“ gewachsen sind, vereinnahmen zu lassen. Gerne gebe ich Tipps und Nummern von passenden Anlaufstellen, doch seine Suppe muss seitdem Jede(r) selbst auslöffeln.